Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
Eine Deindustriealisierungswelle ließ den Großteil der sozialistischen Großbetriebe untergehen. Doch im ländlichen Raum konnten große Strukturen, die sich durch die Notwendigkeit zur Genossenschaftsbildung nach der Bodenreform durchgesetzt hatten, überleben. Um sich aber, befördert durch die an Fläche gebundene Subventionen, im kapitalistischen Konkurenzkampf behaupten zu können, mußten sie zur Finanzierung moderner Landmaschinen Personalkosten sparen. Arbeitsintensive umweltschädliche Tierproduktionsanlagen wurden geschlossen. Die meisten der verbliebenen ca. 10% Beschäftigten der ehemaligen DDR-Landwirtschaftsbetriebe arbeiteten anschließend vor allem im Marktfruchtanbau.
Der Großteil der ländlichen Bevölkerung mußte sich vom Acker machen. Der Ablösungsprozess trieb die Jugend in urbane Ballungszentren, doch so mancher Ältere konnten als Vorruheständler im eigenen Hof verbleiben.
(2011 ehemaliges Kulturhaus Neu Plötz bereits im Vollbrand)
Die auch in MV stattfindende Gentrifizierung verläuft hier aber anders als in der Stadt.
Hier können Freiräume besiedelt werden, ohne die Verdrängung der alteingesessener Mieter, wie z.B. in der neuen Bundeshauptstadt.
Diejenigen, die dort dem Druck der Bonner Beamtenschaft auf das wiedervereinigte Zentrum nicht standhalten wollten, hatten als Alternative neben Ausreiseplänen ins fernere Neuseeland aber auch die Option, das nähere Landleben im Norden zu wählen. Und so konnten sich nachhaltige Lebensstile in der Uckermark entfalten. Die Milch vom Ökodorf Broduwin fließt bis ins schöne MV. http://www.brodowin.de/
Aber auch hier haben interessante Naturräume ihre Ausstrahlung. Und so zog es eine beträchtliche Zahl von sogenannten Raumpionieren in unser Bundesland. Nicht wenige besorgte Mütter, die ihren Nachwuch vor schädlichen Abgasen u. Lärm bewahren wollten, brachten hier weitere Kinder zur Welt. Am Tollensetal im ehemaligen Kreis Demmin konnten dadurch so einige Dörfer vor dem Verfall gerettet werden.
Inzwischen aber sind die Kinder groß u. über die Schulen u. Gymnasien wieder in den Städten verschwunden.
In diesen Freiraum drängen jetzt immer mehr Massentierhaltungsanlagen, die bisher von jeder amtierenden Politik protegiert wurden.
Nicht zufällig titelte der NDR kurz vor Weihnachten im Vorjahr: "Backhaus will neuen Masterplan für Tiermast"
http://www.ndr.de/regional/mecklenburg- ... st101.html
Doch die ehemaligen Städter haben inzwischen hier Wurzeln geschlagen u. leisten Widerstand.
So schlimm, wie die Ansiedlung Europas größter Ferkelfabrik am Tollensetal auch sein mag, etwas Gutes hat sie trotzdem.
Wie an einem Modelprojekt können hier die negativen Auswirkungen auf Ökologie, Ökonomie u. soziale Belange im Kontext zu nachhaltigen Lebensstilen u. ethischen Aspekten untersucht werden.
Ich hoffe, dass die Perspektivkommission dieser Aufgabe gewachsen ist.
PS. Fakt ist: Die ersten Kinder aus der Stadt kommen zurück, mit Partnern u. Kindern u. ziehen andere nach!
Der neue Heimatfilm wird noch eine Weile laufen... http://www.burg-klempenow.de/filmfest/
Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
70 Jahre Frieden und Wohlstand in Deutschland sind ein kostbares Gut. Jeden Tag satt zu essen zu haben , war ein täglicher Wunsch aller Generationen vor uns. In allen Gesellschaftsschichten wußten vor 100 Jahren die menschen um die Sorge der Landwirte vor Mißernten, Seuchen und Unglücksfällen in der Landwirtschaft. Wenn heute oftmals in Unkenntnis und auch dem Mainstream folgend, Forderungen zur Landbewirtschaftung gestellt werden von Menschen, die nachweislich um die Produktion, Verarbeitung und Lagerung ihrer Lebensmittel keinerlei Kenntnis haben, dann ist das für beide Seiten- den Verbraucher- wie den Landwirt schlimm. Man kann von unserer Landwirtschaft zu Recht verlangen, dass gesunde Nahrungsmittel in ausreichender Form, Energieträgerproduziert werden sowie eine nachhaltig gepflegte Landschaft erhalten wird. Man sollte aber hierbei auch so fair sein, den landwirten für ihre Arbeit einen gleichen Lebensstandart zubilligen, wie man ihn selber haben möchte und das sind gerechte Entlohnung seiner Arbeit, Urlaub und angemessene Freizeit. Das alles erreicht man in den seltensten Fällen mit einem auf Milchtüten dargestellten folkloristischen Hof, der 20 Hühner, 3 Kühe und eine Bäuerin , die sanft in Joghurtschüsseln rührt protegiert. Auch der Landwirtschaft sollte man eine Modernisierung und Weiterentwicklung zubilligen, sonst wird sie von den ökonomischen Realitäten eingeholt.
Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
Landmaus hat geschrieben:
Das alles erreicht man in den seltensten Fällen mit einem auf Milchtüten dargestellten folkloristischen Hof, der 20 Hühner, 3 Kühe und eine Bäuerin , die sanft in Joghurtschüsseln rührt protegiert. Auch der Landwirtschaft sollte man eine Modernisierung und Weiterentwicklung zubilligen, sonst wird sie von den ökonomischen Realitäten eingeholt.
Na, da hat ja die Landmaus das Schlaglicht 2 in die Diskussion geworfen: "Das Bild der Land- und Ernährungswirtschaft in der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern ist zwar grundsätzlich positiv, aber über weite Strecken unrealistisch, zum Teil sogar idealistisch verklärt."
Das greife ich gerne auf. Natürlich sollte sich eine moderne Agrarindustrie auch in modernen Bildern zeigen können, dafür haben wir ja die modernen Marketingfirmen.
Über die Fleischtheken im Supermarkt gehören Panoramafotos modernster Schlachtfabriken: Innenaufnahme mit Förderbändern auf denen die Reise vom Lebewesen ins portionierte Endprodukt nachvollziehbar wird. Und Bilder von dichtgedrängten Tiermassen in ihren Fabriken zum Ende der Mastperiode, die das Herz des Betreibers in Gewinnerwartung höher schlagen lassen, könnten für die Frische der Erzeugnisse werben. Auf den Verpackungen u. im Stadtbild...
versehen mit dem bekannten Untertitel der Tabakindustrie.
Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
"Vergib uns unsere Schuld" geht es dann weiter. Weil wir im reichen Norden den Hals nicht voll bekommen, müssen andere leiden und hungern. Ackerflächen stehen nicht für die Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung, weil dort Futterplanzen für die Tiermast angebaut werden. Bei uns liegt die Fleischtheke voll, anderswo fehlen Reis oder Getreide zum Überleben.
"Und führe uns nicht in Versuchung", dem Geld hinterher zu laufen und alles seiner Vermehrung unterzuordnen.
Landwirte dürfen natürlich Geld verdienen ) nichts dagegen! Ich kenne einige hier in der Gegend, und die besitzen etliche Immobilien, investieren in Windkraftanlagen, Solarparks oder Biogasanlagen. Die hohen Subventionen die pro Hektar ausgereicht werden, bezahlen wir, die Steuerzahler. Dann möchte ich ja wenigstens, dass damit umweltbewusst gewirtschaftet wird, Tiere artgerecht gehalten und soziale Standards beachtet werden.
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
Ich habe grundsätzlich jeden Respekt vor unseren Landwirten angesichts ihrer immer noch oft harten Arbeit. Im Winter jeden Morgen um 5 Uhr in den Stall zu gehen, im Regen den Traktor durch den Matsch zu fahren oder Maschinen zu warten und abends noch die Abrechnungen und Formulare zu machen, ich wollte es nicht tun, und ich achte den Beruf.
Ich rufe - als Wochenend-ZweitsitzLandbewohner - auch nicht das Ordnungsamt, wenn es aus dem Kuhstall kräftig riecht o.ä.
Und ich akzeptiere als Steuerzahler auch prinzipiell Subventionen für die heimische oder von mir aus auch gesamt-europäische Landwirtschaft von Irland bis Rumänien.
Aber eine Expansion der Massentierhaltung in den jetzigen Dimensionen nehme ich nicht hin. Das ethische Bewußtsein vieler Menschen bzgl. der "Nutztiere" nimmt zu, und zugleich das Wissen um die gefährdete Natur/Umwelt/Biopshäre. Und das ist auch gut so. Eine Forcierung der Agroindustrie á la Backhaus+Bauernverband+Finanzbranche setzt eine neue Allianz von Verbrauchern+Naturschützer+Entwicklungsgruppen+Neue Landbewoher = FREUNDE DER ERDE ihren entschiedenen, gewaltfreien und zivilen Protest bis Widerstand entgegen. Notfalls vor Gericht, notfalls als Demonstration: bereits zweimal mit je 20 000 Teilnehmern zur "Grünen Woche" in Berlin !
Wie Mahatma Gandhi gesagt hat:
«Die Erde hat genug für die Bedürfnisse eines jeden Menschen, aber nicht für seine Gier.»
Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
Auch würde ich mich sehr freuen, wenn mal einer den Begriff Groß und Klein, bäuerlich und industrielle Landwirtschaft für sich definieren würde. Im Kreis UER ( heute dem Großkreis VG zugeschlagen)gibt es viele Landwirtschaftsbetriebe mit mehr als 1000 ha, die von Genossenschaftsmitgliedern und ihren Familien bewirtschaftet werden, oder aber auch von mitarbeitenden Gesellschaftern, deren Tiere werden nach den Normen des Programmes tierartgerechte Haltung betreut, haben zum Teil halbjährlich Weidegang, bitte warum werden sie nur ihrer ha- Größe wie Umweltverbrecher hier dargestellt und diffarmiert?
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
Oh Schreck, das würde ja bedeuten, das die Lebensmittel teurer würden. Dann wären wir auf dem bösen bösen Weltmarkt nicht mehr Wettbewerbsfähig und Deutschland würde mit Lebensmittelimporten überschüttet
Da das die gesamte Eu betreffen würde, wären die Auswirkungen meines Erachtens nach nicht so groß wie angenommen. Und unsere lieben Verbraucher könnten beweisen wie viel ihnen heimische Prodkte wert sind. Weiter würde die Wertschätzung der Lebensmittel auf diese Weise wieder erhöht. Hierzu eine Aussage von Ilse Aigner während der Grünen Woche 2012:"Die Verbraucher in Deutschland wählten sehr stark nach dem Preis aus[…] Die Ministerin appellierte […], beim Lebensmittelkauf mehr auf Qualität zu achten. „Viele Verbraucher beschäftigen sich lieber mit neuer Technik, […]“, sagte sie. „Aber Essen und Trinken sind unsere Grundbedürfnisse. Ernährungsfragen sind entscheidend, und deshalb brauchen sie einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft.“ (juj/dapd, 2012)
Die Tatsache das in Deutschland die Hälfte aller produzierten Lebensmittel weggeworfen werden sollte das noch unterstreichen.
Jeder Verbraucher hat es selbst in der Hand mit seiner Kaufentscheidung die Landwirtschaft zu fördern die er möchte. Das sollte jedem klar sein. Ein Abbau der Agrarförderung von Staatsseite würde diese "Macht" der Verbraucher noch erhöhen.
Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
„Dass es sich beim Beispiel „Sauenanlage a la Straathof“ nicht mehr um Landwirtschaft, sondern um Industrie handelt, wird schon dadurch deutlich, dass außer dem Baugelände für die Fabrik weiter kein Boden benötigt wird. Es wird buchstäblich nicht mehr mit dem Land gewirtschaftet. Der Begriff Landwirtschaft trifft also schon rein vom Wortsinn her gar nicht zu. Alles was für die Produktion benötigt wird, wird zugekauft...
Seine Berufskollegen aus dem Bereich der noch auf dem Land unter freiem Himmel wirtschaftenden Agrarindustrie sind nicht ganz so leicht als Industrie zu erkennen.
Aber sie arbeiten seit der Wende nach einem ganz ähnlichem Muster: Mit immer größeren Betrieben und immer größeren Maschinen konzentrieren sie sich auf Feldfrüchte. Oder seit neuestem auf so genannte „Energiepflanzen“, die gar nicht mehr für den Verzehr durch Mensch oder Tier gedacht sind, sondern in Biogasanlagen vergoren werden sollen. Ich möchte diesen Bereich als Freiland-Agrarindustrie bezeichnen...
Auch wenn im Bereich der Freiland-Agrarindustrie die Grenzziehung zur Landwirtschaft nicht ganz einfach ist, liegen einige Kriterien für eine solche Abgrenzung auf der Hand:
die schiere Größe der bewirtschafteten Fläche und
die Anzahl der Beschäftigten pro Fläche...
Aber warum ist mir die begriffliche Abgrenzung der Agrarindustrie von der Landwirtschaft überhaupt so wichtig?
Die Landwirtschaft genießt im ländlichen Raum bis heute höchstes Ansehen in der Bevölkerung...Das liegt vermutlich an der sozialen Bedeutung als fast ausschließlicher Arbeitgeber und als Erzeuger des täglichen Brotes, die die Landwirtschaft einst besaß.
Zu DDR-Zeiten kam noch dazu, dass sogar die Infrastruktur der Dörfer weitgehend von den LPG´en zur Verfügung gestellt wurde. Die Landwirtschaft garantierte Leben und Überleben nicht nur für einen kleinen Bruchteil, sondern für die große Masse der Landbevölkerung.
Das ist heute natürlich anders. Die Landwirtschaft kämpft in vielen Bereichen selbst ums Überleben. Und oft ist der Grund dafür der Konkurrenzdruck, der von der Agrarindustrie ausgeht. Und wo bäuerliche Landwirtschaft verdrängt wird, füllt die Agrarindustrie nur zu gerne die Lücken. Was wir derzeit erleben, ist ein rasch fortschreitender Transformationsprozess, weg von der Landwirtschaft hin zur Agrarindustrie.
Parallel zu dieser Transformation ist die Tierhaltung in Mecklenburg-Vorpommern zurückgegangen, denn nur die Spezialisierung auf eine „Kernkompetenz“ ermöglicht das gewünschte Ausmaß an Kostensenkung. Die großen Marktfruchtbetriebe haben die Tierhaltung also zunächst meist einfach weg rationalisiert.
Dadurch stehen auf den Flächen jetzt weniger Tiere, als die Flächen bei einer gesunden Landwirtschaftsstruktur vertragen würden. Ein landwirtschaftlicher Betrieb hätte eine zur bewirtschafteten Fläche passende Anzahl von Tieren. Futter würde auf eigenem Land angebaut und der Mist dann auch auf eigenem Land als Dünger verwertet. Die Agrarindustrie dagegen hat diese Bewirtschaftungsmöglichkeit der Maximierung geopfert.
Noch schlimmer ist aber die von der Politik organisierte „Lösung“: Die landeseigene Landgesellschaft M-V verlangt seit einiger Zeit für die Verlängerung von Pachtverträgen, dass der verlängerunswillige Betrieb wieder auch Tierhaltung betreibt.
Weil sich die auf Marktfrucht spezialisierten Betriebe aber die damit verbundenen Risiken nicht antun wollen, suchen sie sich Kooperationspartner, die ihnen diese Auflage abnehmen. Was so entsteht, ist die unheilige Allianz der Freiland-Agrarindustrie mit den Agrarfabriken im Bereich der Tierhaltung. Denn die Riesenbetriebe vertragen rechnerisch auch große Tierzahlen. Aber die verteilen sich dann eben nicht auf 100 Betriebe zu je 100 ha, sondern werden an einem Standort zusammengeballt. Dies ist möglich, weil an die Haltungsbedingungen weiter keine Anforderungen gestellt werden. Dabei wäre dies ein durchgreifendes Steuerungsinstrument im Interesse der Umwelt, der Tiere und der wirklichen Schaffung von Arbeitsplätzen.“
„Tourismus oder Agrarindustrie am Tollensetal“ Jörg Kröger
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung
Wenn mal eine Reportage über die "schlimmen Bedingungen" in deutschen Ställen, im Fernsehen läuft, dann sind die Landwirte wieder die bösen Tierqäuler. Am nächsten Tag wird dann aber weiter das billigste Schnitzel eingekauft. Sowas sorgt bei mir für Kopfschütteln!! Die Tierhaltung in Deutschland ist sicher diskussionswürdig, allen Beteiligten sollte jedoch klar sein, dass der Verbraucher nicht ganz unschuldig daran ist.