Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

landkind
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon landkind » Mo 16. Jul 2012, 18:50

Schwalbe hat geschrieben:
Ich vermisse auf tierischen Lebensmitteln eine verbindliche Kennzeichnung der Haltungsform. Nur dann habe ich als Verbraucher Wahlfreiheit und kann mich beim Kauf bewusst entscheiden.




Das ist doch ein schönes Beispiel für den "ach so mündigen" und vor Allem "aufgeklärten" Verbraucher"! Brauchen wir neben x Biolables, Gütesiegeln, QS und ich weiss nicht was noch für Kennzeichnungen noch eine weitere für unsere Verbraucherglück? Inklusive bürokratischem Aufwand und verbundener Zwangsabgabe, die die Produzenten zu leisten haben?

Wie war denn das damals mit den Eieren und den zahlreichen, bewusst entscheidenden Verbrauchern? Jeder kann sich mit Sicherheit noch an die Berichte von Menschen erinneren, die mit noch leerem Einkaufswagen Käfigeier verdammten und dann mit ebendiesen aus dem Supermarkt geschoben kamen.

Was bedeutet denn überhaupt Massentierhaltung? Wer hat diesen Begriff jemals definiert. Wo ist die Grenze? Bei 100, 1000 oder 10.000 Tieren? Oder geht es um m² pro Tier?
Manchmal tut mir der Verbraucher mehr leid, als unsere "gequälten" Mastschweine. Wie er so dasitzt, abends vor dem Fernsehr uns sich von "neutral berichtenden" Medien vorkauen lässt, was für böse Menschen Tierhalter sind, die den Tieren aus reiner Profitgier unglaubliches Leid zufügen. Und dabei hat der gute Mensch noch nie einen Stall von Innen gesehen. Oder- und dieser Vorwurf geht an die Bauernschaft und deren Lobbyverbände- nie hat sehen dürfen.
Hätten wir als Landwirte den Zug nicht verpasst und unsere Schweine- und Geflügelställe offen gehalten für Nachbarn und interessierte Städter und uns nicht verschanzt hinter Maschendrahtzäunen und unseren düsteren Stallmauern, sondern offen das Gespräch gesucht, gezeigt, erklärt und zugehört, vielleicht würden wir diese Diskussionen heute auf einer neutraleren Ebene führen können.

Schwalbe
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon Schwalbe » Mo 16. Jul 2012, 21:28

@AgrarStudent: Das stimmt. Trotzdem wäre es konsequent, tierische Lebensmittel je nach Haltungsform zu kennzeichnen. Dann steht eben bei den Discountern auf jeder Packung Schweinefleisch "Aus Massentierhaltung". Vielleicht kommt dadurch etwas in Bewegung. Wie gesagt, bei den Eiern hat es auch geklappt. Dass artgerechte Tierhaltung auch ohne "Bio" möglich ist, zeigt das Neuland- Programm. Und ich stimme Ihnen zu, weniger an Fleisch würde uns allen gut tun. Offensichtlich verdrängen viele beim Einkauf unangenehme Themen wie Massentierhaltung oder die Zustände in den riesigen Schlachthöfen. Leute, die sich liebevoll um ihre Hunde und Katzen kümmern, kaufen scheinbar gedankenlos Fleisch, dass von Tieren stammt, die unter tierquälerischen Bedingungen gehalten wurden. Vielleicht würde sich etwas ändern, wenn sie direkt beim Einkauf mit der Nase auf dieses Thema gestoßen würden.

Schwalbe
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon Schwalbe » Mo 16. Jul 2012, 22:00

@landkind: Hier haben wir ja Gelegenheit auf neutraler Ebene miteinander zu diskutieren. Um es noch einmal klar zu sagen, ich wende mich nicht gegen Landwirte, sondern gegen die Auswüchse einer industrialisierten Landwirtschaft. Mir ist durchaus klar, dass die Landwirte oft die Getriebenen sind. Aber das erspart uns nicht die Diskussion. Und ich kann nicht glauben, dass ein Landwirt mit Berufsehre die Zustände in der Massentierhaltung rechtfertigen möchte. Für Definitionen bin ich nicht der Typ. Aber Massentierhaltung hat für mich etwas mit der Konzentration großer Tierzahlen an einem Standort (mit all den negativen Auswirkungen) zu tun. Dazu kommen natürlich die Haltungsbedingungen. Wenn ein Tier seinen natürlichen Bedürfnisse überhaupt nicht mehr nachkommen kann, es nur darum geht, es in kürzester Zeit unter größtmöglicher Kostenersparnis bis zur Schlachtreife zu mästen, dann ist das für mich nicht akzeptabel. Ich finde es schlimm, wenn dieser Weg als alternativlos dargestellt wird. Im Neuland- Programm beträgt die Bestandsobergrenze z.B. 95 Sauen pro Betrieb, sie haben mehr Platz, werden auf Stroh gehalten, und es gibt ausreichend natürliches Licht. So sieht für mich artgerechte Tierhaltung aus.
Beim Tag des offenen Hofes bekommen die Leute ja Gelegenheit, sich landwirtschaftliche Betriebe anzuschauen. Aber ich habe noch nicht gehört, dass große Schweine- oder Geflügelmastbetriebe ihre Tore geöffnet haben. Wahrscheinlich wäre das aus hygienischen Gründen auch gar nicht möglich. Und Fenster, durch die man schauen könnte, existieren bei solchen Ställen wohl auch nicht. Meistens gibt es Milchkühe mit niedlichen Kälbchen zu besichtigen.
Dass die Medien verstärkt über Massentierhaltung berichten, zeigt, dass dieses Thema viele Menschen im Land interessiert. Meine eigene Wahrnehmung bestätigt das. Es gab in den letzten drei Jahren einen enormen Bewusstseinswandel bei diesem Thema in der Bevölkerung. Ich hoffe, dass unsere verantwortlichen Landes- und Bundespolitiker das auch endlich registrieren und dem Rechnung tragen. Meiner Meinung nach sind Landwirte oft selbst Opfer einer verfehlten Förderpraxis. Der Verdrängungswettbewerb ist hart. Wie hier schon an anderer Stelle geschrieben wurde, es ist ein Centgeschäft. Kleine landwirtschaftliche Betriebe, die von der derzeitigen Subventionspolitik benachteiligt sind, kämpfen ums Überleben. Als Ausweg wird ihnen dann der Einstieg z.B. in die Lohn-Geflügelmast suggeriert. Damit machen sie sich komplett von großen Konzernen abhängig, die vom Küken bis zum Futter alles liefern und natürlich die schlachtreifen Hühner abnehmen und dabei den Preis diktieren. Ist der Markt gesättigt, müssen die Ställe eben eine Zeit lang leerstehen. Das Geschäftsrisiko trägt allein der Landwirt. Hier muss sich doch etwas ändern! ich glaube einfach nicht, dass Landwirte diese Entwicklung gut finden.

landkind
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon landkind » Di 17. Jul 2012, 12:07

Schwalbe hat geschrieben:
@landkind: Hier haben wir ja Gelegenheit auf neutraler Ebene miteinander zu diskutieren...
Ist der Markt gesättigt, müssen die Ställe eben eine Zeit lang leerstehen. Das Geschäftsrisiko trägt allein der Landwirt. Hier muss sich doch etwas ändern!



Ich für meinen Teil finde es gut, wenn Ställe, in denen den Tieren der natürliche Auslauf fehlt, leerstehen.
Weniger gut finde ich, wenn der Markt diktiert, dass Energiepflanzen weniger Raum für Gemüseanbau lassen.
Und ich würde mich freuen, wenn der Landwirt sich nicht nur an den Zwängen des "Geschäftsrisikos" orientieren muss.
Von seinem Geschäftsinteresse spüren die vielen anderen Bewohner des ländlichen Raumes in der Regen nur die negativen Auswirkungen, ohne dafür entschädigt zu werden. Wenn sie jetzt auch noch das Geschäftsrisiko mittragen sollen, dann wird es aberwitzig.

Schwalbe
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon Schwalbe » Di 17. Jul 2012, 12:20

@einwohner: Ich meine nicht, dass andere Bewohner des ländlichen Raumes diese Art von Geschäftsrisiko mittragen sollen. Vielmehr wollte ich darstellen, dass Landwirte durch eine verfehlte Agrarpolitik selbst zu Leidtragenden einer industrialisierten Landwirtschaft und zum Spielball international agierender Konzerne werden. Ansonsten stimme ich Ihnen zu.

landkind
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon landkind » Di 17. Jul 2012, 18:45

Schwalbe hat geschrieben:
Beim Tag des offenen Hofes bekommen die Leute ja Gelegenheit, sich landwirtschaftliche Betriebe anzuschauen. Aber ich habe noch nicht gehört, dass große Schweine- oder Geflügelmastbetriebe ihre Tore geöffnet haben. Wahrscheinlich wäre das aus hygienischen Gründen auch gar nicht möglich. Und Fenster, durch die man schauen könnte, existieren bei solchen Ställen wohl auch nicht. Meistens gibt es Milchkühe mit niedlichen Kälbchen zu besichtigen.




Genau das ist der Punkt! Wir lassen keine Menschen, außer die dort arbeitenden, mehr in die Ställe! Die Milchviehhalter haben den Vorteil, das ihre Ställe offen sind und das die Kuh um Höchstleistung zu erbringen nun mal den sogenannten Kuhkomfort benötigt. Im Milchviehbereich gelten komischerweise 1.000 Kühe auch nicht als Massentierhaltung. Warum ist das so lieber Verbraucher? Vielleicht doch mediengesteuert, oder wegen der oben erwähnten totalen Entfremdung und Abschottung der anderen Stallarten?
Was bedeuten grosse Tierzahlen an einem Standort denn überhaupt? Weiss jemand von Ihnen, das die Tiere trotzdem in separaten Abteilen gehalten werden und gar nicht zusammen in "Massen" unter einem Dach? Und wieso macht es dann einen Unterschied ob ich 1x 120 Schweine (= ca. 1 Abteil) oder 10x120 Schweine halte? Meine Tierbetreuung und -kontrolle bleibt pro Tier gleich, lediglich meine Arbeitszeit verlaengert sich und das ich bei hoeheren Tierzahlen hoehere Verluste habe, duerfte einleuchten. Die Relativzahl waere hier die entscheidende Größe und nicht der in den Medien so gerne gezeigte (weil spektakuläre?) volle Kadaverbehaelter. Auch in der oekologischen Haltung oder bei Neuland verenden Tiere. Das ist leider so. Den Tierhaltern jedoch zu unterstellen, das mit kaltem Herzen hinzunehmen, ist nich fair. Mich reut jedes Tier, das tot aus dem Stall gezogen wird und ich moechte betonen nicht aus finanziellen Gruenden, sondern weil es sich hierbei um ein Lebewesen handelt.
Und was auch immer wieder hinter der Traumvorstellung des im Boden wühlenden Glückschweins zurückbleibt, ist die Tatsache, das unsere Schweine unter den angeblich "quälerischen" Haltungsbedingungen gute Leistungen zeigen. Passt das zusammen? Ist es Ihnen persönlich möglich im Job top zu sein, wenn Sie gequält von Ihren "Haltungsbedingungen" wären? Es ist schlichtweg falsch, wenn man unterstellt, das die Tiere keines Ihrer natürlichen Bedürfnisse befriedigen könnten. Sie gehen beispielsweise nicht wühlend auf Nahrungssuche, wie es Ihre Natur wäre und die Sauen können tatsächlich kein Nest für ihre Ferkel bauen und ja, sie leben in einer reizarmen Umwelt. Aber sie bekommen an Ihre Bedürfnisse angepasstes Futter, können zwischen den Futterzeiten ruhen, es wird darauf geachtet, das sie durch Kälte und Zugluft nicht krank werden, kranke Tiere lässt man nicht leiden, sondern behandelt sie. Und ich habe nicht den Eindruck, beim Stalldurchgang nur gequälte Kreaturen vor mir zu haben.
Aber ich gebe auch zu, das sich unsere Haltungsformen im Schweine-und Gefluegelbereich in den letzen Jahren nicht groß entwickelt haben. Auch hier sieht es im Milchviehbereich deutlich besser aus. Und ich bin auch der Meinung das sich das hin zu mehr Tiergerechtheit ändern wird.
Aber die zu treffenden Entscheidungen sollten fachkundig untermauert und nicht propagandistisch motiviert erfolgen. Und ich bitte zu bedenken, das wir, die wir hier diskutieren vermutlich finanziell die Wahlmöglichkeit an der Fleischtheke haben. Aber was ist mit den Bevölkerungsgruppen, die a) weder Ihr Konsumverhalten ändern wollen, noch b) deutlich höhere Preise hinnehmen können? Konzepte wie Neuland sind gut und wie die gesamten Diskussionen hier wichtig, aber sie werden sich nicht auf die Breite übertragen lassen. Es muss andere Konzepte geben, die höhere Standards für die Tiere gewährleisten, aber uns Landwirten und unseren Mitarbeitern ein angemessenes Einkommen sichern. Um das unschöne Wort der "Massentierhaltung" (was immer es bedeutet), werden wir meiner Meinung nach jedoch nicht umhinkommen.
Zuletzt geändert von landkind am Di 20. Nov 2018, 18:43, insgesamt 1-mal geändert.

Schwalbe
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon Schwalbe » Di 17. Jul 2012, 20:07

Meiner Meinung nach müssen sich sowohl die Produktionsweisen in der Landwirtschaft als auch das Konsumverhalten der Menschen ändern. Im Umweltgutachten 2012 des Sachverständigenrates für Umweltfragen (dessen Lektüre ich wärmstens empfehlen möchte) steht: "Eine Einschränkung des Kosums von Fleisch- und Milchprodukten könnte den Gesamtkonsum wesentlich ressourcen- und flächenschonender gestalten." Unsere Politiker sind dafür verantwortlich, durch eine entsprechende Förderpolitik und andere Steuerungsinstrumente die Weichen für diese Veränderungen zu stellen. Und wir sind dafür verantwortlich, dieses von der Politik einzufordern. Tiere artgerecht aufziehen, weniger Fleisch in besserer Qualität produzieren, Landwirte dafür ordentlich entlohnen, vom Verbraucher dafür mehr Geld verlangen, der dann seinen Fleischkonsum reduziert... wir wären jede Menge Probleme los. Die vielen Leute in M-V, die wenig Geld in der Tasche haben, als Rechtfertigung für Massentierhaltung ins Feld zu führen, halte ich für bedenklich. Die Kosten, die dem Gemeinwesen durch diese Art von Tierhaltung entstehen, sind erheblich, die Umweltschäden irgendwann irreparabel. Ich habe Verständnis für Ihre Positionen, wenn ich sie auch nicht immer teilen oder nachvollziehen kann. Wichtig würde ich finden, dass sich mehr Landwirte selbst für Verbesserungen im Bereich Tierhaltung einsetzen und ihr Anliegen auf politischer Ebene und in den Bauernverbänden deutlich artikulieren. Es gibt immer Alternativen!

Landratte
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon Landratte » Di 17. Jul 2012, 21:36

Landkind hat geschrieben:
Und ich bin auch der Meinung das sich das hin zu mehr Tiergerechtheit ändern wird.
Aber die zu treffenden Entscheidungen sollten fachkundig untermauert und nicht propagandistisch motiviert erfolgen.



Na, wunderbar. Das Verbandsklagerecht für Tierschutz ist überfällig.
http://albert-schweitzer-stiftung.de/ti ... nisationen
Denn "die Einführung eines Verbandsklagerechts für Tierschutzvereine ist verfassungsrechtlich geboten, nachdem ethischer Tierschutz Staatsziel mit Verfassungsrang geworden ist."
So sieht es nicht nur die Albert Schweitzer Stiftung. Deren Maxime ist die Ehrfurcht vor dem Leben.
Wie weit diesem ethischen Aspekt vor den wirtschaftlichen Sachzwängen hier Raum gegeben wird, werden wir sehen...
auch, wer hier wieder mal Propaganda wittert.

Jan Reimond
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon Jan Reimond » Mi 18. Jul 2012, 11:58

"... Auch in der oekologischen Haltung oder bei Neuland verenden Tiere. Das ist leider so. Den Tierhaltern jedoch zu unterstellen, das mit kaltem Herzen hinzunehmen, ist nich fair. Mich reut jedes Tier, das tot aus dem Stall gezogen wird und ich moechte betonen nicht aus finanziellen Gruenden, sondern weil es sich hierbei um ein Lebewesen handelt.
Und was auch immer wieder hinter der Traumvorstellung des im Boden wühlenden Glückschweins zurückbleibt, ist die Tatsache, das unsere Schweine unter den angeblich "quälerischen" Haltungsbedingungen gute Leistungen zeigen. Passt das zusammen? Ist es Ihnen persönlich möglich im Job top zu sein, wenn Sie gequält von Ihren "Haltungsbedingungen" wären? Es ist schlichtweg falsch, wenn man unterstellt, das die Tiere keines Ihrer natürlichen Bedürfnisse befriedigen könnten. Sie gehen beispielsweise nicht wühlend auf Nahrungssuche, wie es Ihre Natur wäre und die Sauen können tatsächlich kein Nest für ihre Ferkel bauen und ja, sie leben in einer reizarmen Umwelt. Aber sie bekommen an Ihre Bedürfnisse angepasstes Futter, können zwischen den Futterzeiten ruhen, es wird darauf geachtet, das sie durch Kälte und Zugluft nicht krank werden, kranke Tiere lässt man nicht leiden, sondern behandelt sie. Und ich habe nicht den Eindruck, beim Stalldurchgang nur gequälte Kreaturen vor mir zu haben.
Aber ich gebe auch zu, das sich unsere Haltungsformen im Schweine-und Gefluegelbereich in den letzen Jahren nicht groß entwickelt haben. Auch hier sieht es im Milchviehbereich deutlich besser aus. Und ich bin auch der Meinung das sich das hin zu mehr Tiergerechtheit ändern wird.
Aber die zu treffenden Entscheidungen sollten fachkundig untermauert und nicht propagandistisch motiviert erfolgen. Und ich bitte zu bedenken, das wir, die wir hier diskutieren vermutlich finanziell die Wahlmöglichkeit an der Fleischtheke haben. Aber was ist mit den Bevölkerungsgruppen, die a) weder Ihr Konsumverhalten ändern wollen, noch b) deutlich höhere Preise hinnehmen können? Konzepte wie Neuland sind gut und wie die gesamten Diskussionen hier wichtig, aber sie werden sich nicht auf die Breite übertragen lassen. Es muss andere Konzepte geben, die höhere Standards für die Tiere gewährleisten, aber uns Landwirten und unseren Mitarbeitern ein angemessenes Einkommen sichern. Um das unschöne Wort der "Massentierhaltung" (was immer es bedeutet), werden wir meiner Meinung nach jedoch nicht umhinkommen.[/quote]

@landkind:
Es wird in Diskussion und Praxis ignoriert/verdrängt, dass man Schweine auch ganz anders im wirtschaftlichen Maßstab halten kann. In den Niederlanden gab es erfolgreiche Praxisversuche. Es gibt - wenige - Neuland-Betriebe, die halten Schweine in kleinen Holzhütten. Die Sauen leben hier mit den Ferkeln zusammen. Das Futter wird auf der Fläche verteilt, um die Suchaktivität anzuregen. Sogar im Winter ist dies möglich (mit der Option, in den Stall zu wechseln), ich habe es im Fläming gesehen. Auch die Wildtierstiftung bei Strasburg/Uckermark demonstriert diese Haltungsform. Ich kenne Landwirte, die wollten entsprechend in MV Schweine halten. Sie fanden kein Land und keine Beratung. die Landgesellschaft ignorierte Anfragen. Ein verfilztes Interessenkartell von Bauernverband+Landwirtschaftsministerium+Lokalbehörden verhindert hier in MV Innovationen.
Natürlich entscheidet der Verbraucher an der Fleischtheke. Ich gebe relativ viel Geld aus für Bio-Fleisch, und genieße die Qualität. Man muß nur den gewohnten Fleischmengenkonsum reduzieren, dann kann man sich das leisten.

Landratte
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Re: Entfremdung der ländlichen Bevölkerung

Beitragvon Landratte » Mi 18. Jul 2012, 20:02

landkind hat geschrieben:
Brauchen wir neben x Biolables, Gütesiegeln, QS und ich weiss nicht was noch für Kennzeichnungen noch eine weitere für unsere Verbraucherglück?...
Hätten wir als Landwirte den Zug nicht verpasst und unsere Schweine- und Geflügelställe offen gehalten für Nachbarn und interessierte Städter und uns nicht verschanzt hinter Maschendrahtzäunen und unseren düsteren Stallmauern, sondern offen das Gespräch gesucht, gezeigt, erklärt und zugehört, vielleicht würden wir diese Diskussionen heute auf einer neutraleren Ebene führen können.


"Biolables, Gütesiegeln, QS und ich weiss nicht was noch für Kennzeichnungen" sind klare Zeichen für die hier benannte Entfremdung der Bevölkerung zum ländlichen Leben. Das gilt in erster Linie für den urbanen Verbraucher, abgesehen von der Medienflut zum Thema, doch auch für Menschen auf dem Land, die im Supermarkt einkaufen, könnte das Gleiche gelten.
Trotzdem gibt es immer mehr ehemalige Städter, die heute ländliche Bevölkerung sind, die versuchen, einen Teil ihrer Ernährung selbst zu organisieren. Solange sie dabei durch die Arbeit, der sie umgebenen Agrarwirtschaft nicht gegen ihren Willen betroffen werden, akzeptieren sie in aller Regel auch die Tätigkeit der Landwirte. Eventuelle "Qualzucht" hinter düsteren Stallmauern tangiert wohl nur den kleineren Teil der Bio-Konsumenten. Schön wärs ja, sie würden über ihren Gartenzaun hinaus Verantwortung für die dazugehörigen Zusammenhänge entwickeln.
Und damit das keine frommen Wünsche bleiben, sollte Selbstversorgung auf den Dörfern unterstützt werden.
So können Kooperativen entstehen u.a. zwischen ehemaligen Landwirten (Rentnern) u. Zugezogenen. Empfehlungsmarketing kann über die alten Kontakte in die Städte neue Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften auf den Weg bringen. Vielleicht ein Ausweg aus der Sackgasse... aber ob der wirklich gewollt ist?