Beitrag zur Osterausgabe der Tollensetaler Stimme 2019
https://mensch-und-land.de/tts/tollensetaler-stimme-2019-04/#page/11
Den in dem Beitrag genannten Argumenten kann ich nur zustimmen. Die Schulpflicht wurde ja auch nicht vordergründig aus sozialen und humanitären Absichten eingeführt, sondern weil die industrielle Entwicklung massenhaft Qualifizierung von Lohnarbeitern und Soldaten brauchte.Der Drill und die Prügelstrafe gehörten gleich dazu. Sie hielten sich in der Bundesrepublik sogar erstaunlich lange. Ausgediente Soldaten wurden früher vielfach als Lehrer an den Schulen eingesetzt. Die vormilitärische Ausbildung war in der DDR umstritten. Heute buhlt die Bundeswehr um die Schulen und schließt Verträge mit ihnen ab.
Die Abschaffung der Schulpflicht würde andere gesellschaftliche Verhältnisse und demokratische Mehrheiten voraussetzen. Mir ist die Abschaffung der Schulpflicht schlechthin zu wenig und zu ungenau. Sie müsste verbunden werden mit der staatlichen Pflicht, die materiellen und finanziellen Mittel zur allseitigen Persönlichkeitsentwicklung der Kinder zu sichern. Kein Kind darf wegen Armut der Eltern an dieser Entwicklung gehindert werden. Als moralischen Grundsatz verlange ich, dass Mittel für den Kriegsdienst, wenn überhaupt noch, dann nie höher sein dürfen als für Bildung und Kultur.
Als weiteres gehört zu dem Problem eine tiefgründige Reform des gesamten Bildungsprogramms. Die besten Pädagogen, Psychologen, Natur- und Gesellschaftswissenschaftler müssen in einem entsprechendem Gremium geeignete Lehrpläne, Lehrmaterialien für Kinder, Eltern und Lehrer erarbeiten und herstellen lassen.
Ein völlig neues Schulsystem ist notwendig. Die Kinder der unteren Jahrgänge müssen nicht weit in die Schulen gekarrt werden. Sie können Lesen, Schreiben und einfache Grundlagen des Lebens vor Ort in kleineren Gruppen, ähnlich wie in Kitas, bei Lehrern, Eltern und ehrenamtlichen Helfern lernen. Erst in den Oberstufen sind dann neue Schulformen zu schaffen. Ich will das alles hier nur andeuten. Wenn der Wille für ein neues Schulsystem da sein wird, wird es auch an Ideen nicht mangeln.
Durch den Krieg haben mein Bruder und ich unsere Ausbildung nicht über die Schulpflicht erfahren. Mein Bruder wurde 1944 in Breslau gerade noch eingeschult. Dann war Schluss.Lesen und Schreiben hat er bei mir gelernt. Das Lebensnotwendige lernte er bei unseren Eltern und in seinem Umfeld. Erst nach unserer Aussiedlung aus Schlesien kam er drei Jahre später in Dresden in die Schule. Mit den erworbenen Kenntnissen konnte er in kurzen Abständen drei Klassenstufen überspringen und die Schule altersgerecht erfolgreich beenden. Dann ging er noch auf die ABF, die Arbeiter- und Bauernfakultät, bekam die Hochschulreife und ging zum Auslandsstudium. Auch ich habe es bis zum Hochschulstudium geschafft.Was hat die Schulpflicht dabei bewirkt?
Helmut Hauck